Vom Spiel – und warum wir es nie verlernen sollten

Seit ein paar Wochen denke ich über das Thema „Spielen“ nach. Nicht im Sinne von „gewinnen oder verlieren“, sondern im ursprünglichen, freien, natürlichen Sinn. Was machten Menschen, bevor sie sesshaft wurden? Bevor sie Felder bestellten, Uhren aufziehen mussten und an Meetings teilnahmen? Sie spielten.

Auch heute noch sieht man es überall, wo Menschen nicht unmittelbar ums Überleben kämpfen: Menschenaffen, die miteinander raufen, jagen, balancieren. Kinder, die sich in Geschichten verlieren, Stöcke in Schwerter verwandeln oder mit einer einzigen Decke ein ganzes Königreich erschaffen.

Und dann sind da Menschen wie Bill Gates oder Warren Buffett, die längst nicht mehr arbeiten müssten – und die genau das tun: Sie spielen. Karten, Schach, Simulationen, Wetten. Nicht um zu gewinnen – sondern weil sie neugierig sind. Weil es Spaß macht. Und weil das Spiel eine Urform des Lernens ist.

Spielen als Lernform

Spielen ist keine Freizeitbeschäftigung – es ist eine der ältesten und effektivsten Lernmethoden überhaupt.

Kinder lernen durch Spiel: körperlich, emotional, sozial, sprachlich. Sie entdecken Regeln und ihre Grenzen, testen Rollen und Beziehungen, entwickeln Strategien, bauen Fantasie auf. Und das Beste daran: Sie merken gar nicht, dass sie lernen.

Auch Erwachsene lernen spielerisch – oder würden es tun, wenn man sie ließe. Gute Spiele machen neugierig, fordern heraus, regen an. Sie laden ein, ohne zu überfordern. Und sie schenken Flow – diesen Zustand völliger Versenkung, in dem Zeit keine Rolle spielt.

Was uns das Spiel lehrt

Das Spiel hat viele Formen:

Konstruktiv und kooperativ wie beim Lego-Bauen mit einem Kind.

Strategisch wie beim Schach.

Körperlich und kreativ wie beim Tanz.

Sozial wie beim Kartenspiel im Wirtshaus.

Virtuell wie in Online-Welten.

Oder auch ganz still, wie beim Gedankenspiel mit einem neuen Projekt, einer Vision, einer Idee.

Was sie alle gemeinsam haben: Sie bringen uns ins Jetzt. Sie verbinden uns mit anderen – und mit uns selbst. Sie öffnen Räume, in denen wir experimentieren dürfen, ohne Angst zu scheitern.

Warum wir das Spielen verlernen

Irgendwann, meist zwischen Schulzeit und Berufsleben, wird Spielen weniger wertgeschätzt.

Es muss „ernst“ werden, „zielgerichtet“, „produktiv“. Spielen wirkt verdächtig: zu leicht, zu fröhlich, zu kindlich. Dabei ist genau das seine Kraft.

Wir ersetzen das Spiel durch Wettbewerb, Zielvereinbarungen, Leistungsmessung.

Wir verwechseln „Spieltrieb“ mit „Spielerei“. Dabei ist der Spieltrieb eine evolutionäre Superkraft – und Spielerei oft nur schlecht getarnter Ernst.

Wie wir das Spiel zurück ins Leben holen

Ein Kind zu haben ist eine der direktesten Einladungen, wieder zu spielen.

Nicht nach Regeln – sondern aus dem Moment heraus.

Nicht um zu gewinnen – sondern um da zu sein.

Aber auch ohne Kinder lässt sich das Spiel zurückholen:

Indem wir uns selbst wieder erlauben, zweckfrei neugierig zu sein.

Etwas zu tun, nur weil es uns Freude macht.

Etwas zu erkunden, ohne sofort ein Ergebnis zu erwarten.

Spielen heißt, dem Leben Raum geben – für Leichtigkeit, für Kreativität, für Begegnung.

Fazit

Spielen ist kein Kinderspaß. Es ist ein menschliches Grundbedürfnis.

Es ist Lernen, Beziehung, Kreativität, Sinn – ohne Schwere.

Und es ist vielleicht genau das, was uns heute fehlt: Ein bisschen weniger Ernst. Ein bisschen mehr Spiel.

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